Am 8. März findet seit mittlerweile über 110 Jahren der internationale feministische Kampftag statt. Das ist ganz schön lang und seitdem hat sich in Bezug auf Frauenrechte auch echt viel getan. Aber wieso brauchen wir diesen Tag dann trotzdem weiterhin? Oder anders gefragt: Was soll das mit dem Feminismus denn noch?
Warum wir Feminismus noch immer brauchen
„Übertreibst du es nicht mit diesem Feminismus?“ Diese und ähnliche Fragen kennen wohl alle Feminist*innen, sei es in der Familie, durch den*die Ex (Grüße gehen raus!), von Kolleg*innen, von Männern ebenso wie von Frauen. Und haben sie damit nicht irgendwie Recht? Immerhin haben wir eine Bundeskanzlerin, Frauen dürfen in Deutschland seit über 100 Jahren wählen und sind in hohen Leitungspositionen. Das ist schon eine ganze Menge und bedarf zweifelsohne Wertschätzung. Was wollen wir denn noch?! Naja, einiges, denn es gibt viele Dinge, die sich noch ändern müssen. Deswegen lautet die einzig richtige Antwort auf solche Fragen:
NEIN! Nein, weil…
…nur 19 der 193 UN-Staaten von Frauen regiert werden. (Bundeszentrale für politische Bildung)
…der Gender Pay Gap 2018 in der EU bei 15% lag. (Statistisches Bundesamt)
…Frauen häufiger von Altersarmut betroffen sind. In Deutschland liegt die Geschlechter-Rentenlücke bei 46%, wodurch Frauen gerade im Alter von Partnern abhängig sind bzw. es bleiben. (Uni Mannheim)
…Frauen in ihrem Leben durchschnittlich knapp 9.000 Euro für Menstruationsprodukte zahlen müssen, was sich einige kaum leisten können. Periodenarmut is a thing! („Periode ist politisch“, S. 11)
…der männliche Körper weiterhin als Norm betrachtet wird, so auch in der Medizin. Das hat zur Folge, dass viele Frauen keine richtigen Diagnosen erhalten oder jahrelange Odysseen auf sich nehmen müssen, um diese zu bekommen, wie zum Beispiel im Fall von Endometriose. Das ist auch bei Crash-Tests (Einsatz von Dummies nach männlichem Körpervorbild) und der Zulassung von Medikamenten oder den Grenzwerten giftiger Stoffe ein Problem, wodurch Frauen erhöhten Gefahren im Alltag und bei der Arbeit ausgesetzt sind. („Unsichtbare Frauen“)
…Frauen noch immer nicht über ihren Körper bestimmen dürfen. So gibt es bspw. in Polen und Irland extrem restriktive Abtreibungsgesetze und in Deutschland ist der Paragraph 219a StGB alive and well.
…in Deutschland pro Jahr rund 9.000 Frauen vergewaltigt oder sexuell genötigt werden. („AktenEinsicht“, S. 7)
…in Deutschland jeden zweiten bis dritten Tag eine Frau von ihrem (Ex-)Partner getötet wird. („Anleitung zum Widerspruch“, S. 189)
…Frauen in Deutschland rund 70% der Care-Arbeit leisten. (Bundeszentrale für politische Bildung)
…globale Care Chains Frauen immer noch in prekäre Situationen bringen. („Equal Care“, S. 76ff.)
…in Sweatshops zum Großteil Frauen arbeiten. In Kambodscha sind es beispielsweise 90%. Damit müssen vor allem Frauen den kapitalistischen Drang des globalen Nordens nach dem Kauf von Fast Fashion ausbaden. (Heinrich Böll Stiftung)
…80% der durch den Klimawandel Vertriebenen Frauen sind. („ÜberForderungen“, S. 108)
Komplexe Verflechtungen und die Probleme der feministischen Bewegung
Ich könnte diese Liste (leider!) noch ewig weiterführen. Und dabei haben wir noch nicht über die diversen intersektionalen Verflechtungen und Oberprobleme all dieser Thematiken gesprochen: Was bedeuten sie für Frauen mit Behinderungen, Schwarze Frauen, Muslimas, trans Personen, queere Frauen… Feminismus kommt ohne Intersektionalität ganz einfach nicht aus.
Und dennoch wird Feminismus noch immer als mehrheitlich weiß wahrgenommen. Auch mir schossen bis vor einiger Zeit überwiegend die Namen von weißen Frauen in den Kopf, wenn es um Feminismus geht. Und obwohl diese Frauen großartige Texte schreiben, die wichtige Aspekte für die Bewegung beinhalten, bieten sie eben nur eine bestimmte Perspektive, aus der heraus diese Texte stammen. Dabei gibt es so viele Feminist*innen, die andere Erfahrungen einbringen können!
Hinzukommt, dass auch Personen, die sich selbst als Feminist*innen bezeichnen, viel zu oft ableistisch, transfeindlich und rassistisch sind. Manchmal geschieht das gar nicht aus bösem Willen; sie sehen einfach nicht, dass jede Frau andere Erfahrungen macht und all diese Erfahrungen erst zu einem großen Flickenteppich zusammengefügt Feminismus ergeben können. In anderen Fällen geht es allerdings darum, bestimmte Personen(gruppen) aus der Bewegung auszuschließen und dem müssen wir uns entschieden entgegenstellen.
Wenn wir uns alle nur auf unsere eigenen Flicken konzentrieren, denken wir schnell, sie seien für alle anderen Frauen universell. Und das ist der größte Trugschluss, den Feminist*innen machen können, denn so werden die Gräben zwischen uns nur größer, anstatt dass wir gemeinsam und wirklich solidarisch gegen die Ungerechtigkeiten, die Gewalt und die Diskriminierungen angehen können.

Aber wie können wir das ändern?
Um bei dem Bild des Flickenteppichs zu bleiben: Wir müssen einen Schritt zurücktreten, um das große Ganze zu sehen. All die Farben, Stoffe und Muster, die die Summe unserer Erfahrungen ergeben. Vor allem dürfen wir unseren persönlichen Feminismus nie als abgeschlossenes Projekt betrachten, sondern als work in progress. Du möchtest dich mit der Thematik auseinandersetzen und hast schon ein paar der klassischen Texte wie Woolf und de Beauvoir gelesen? Great! Dann lies doch als nächstes mal Audre Lorde oder bell hooks. Und lass es nicht dabei bleiben.
Wir müssen auch in den eigenen Reihen kritisch sein und uns immer wieder fragen: Wem hören wir zu? Wer ist sichtbar? Wessen Bücher lesen wir? Auf wen sind (vorgeblich) feministische Aktionen ausgerichtet und wen repräsentieren sie? Wer bekommt eine Plattform? Denn nur, wenn wir alle Diskriminierungen im Blick haben (und am besten auch noch antikapitalistisch denken – but that’s a whole different story… or not?), hat der Feminismus überhaupt erst die Chance, die bestehenden Machtverhältnisse nicht nur zu verschieben und zu erweitern, sondern sie ganz zu zerstören. Davon profitieren am Ende alle – auch diejenigen, die die Relevanz von Feminismus in Frage stellen. Und bevor jemand fragt: Ja, alle schließt auch Männer ein!
Was haben Bücher damit zu tun?
Bücher sind eine Möglichkeit, die Erfahrungen anderer Menschen nachzuvollziehen und den Teppich zu verweben. Nebenbei bilden sie eine ziemlich gute Quelle, um Argumente in Diskussionen mit Feminismus-Skeptiker*innen zu liefern. Natürlich sind sie nicht das einzige Medium und das alleinige Lesen von Büchern bringt auch noch nicht so viel, wenn man das Gelesene nicht in die alltäglichen Handlungen überträgt. Aber sie sind ein Anfang. Deswegen folgt hier eine Liste mit Büchern, die mir auf meinem Weg helfen. Manche von ihnen mögen auf den ersten Blick nicht viel mit Feminismus zu tun haben, aber sie formen mein Verständnis von intersektionalem Feminismus. Die Liste versteht sich als Aufschlag, denn wie gesagt: Feminismus ist ein nie abgeschlossenes Projekt. Aber irgendwo muss man ja mal starten!
- We Should All be Feminists von Chimamanda Ngozi Adichie
- Feminism for the 99%. A Manifesto von Cinzia Arruza, Tithi Bhattacharya und Nancy Fraser
- ÜberForderungen von Magdalena Baran-Zołtys und Christian Berger
- Men who Hate Women von Laura Bates
- Women and Power von Mary Beard
- Das andere Geschlecht von Simone de Beauvoir
- Philosophinnen. Von Hypatia bis Angela Davis. Herausragende Frauen der Philosophiegeschichte, hrsg. von Rebecca Buxton und Lisa Whiting
- Hexen von Mona Chollet
- AktenEinsicht. Geschichten von Frauen und Gewalt von Christina Clemm
- A Black Feminist Statement vom Combahee River Collective
- On Intersectionality von Kimberlé Crenshaw
- Unsichtbare Frauen von Caroline Criado-Perez
- Feminists don’t wear Pink and Other Lies, hrsg. von Scarlett Curtis
- Don’t Touch my Hair von Emma Dabiri
- Freie Stücke, hrsg. von Sonja Eismann und Anja Mayrhauser
- Ja heißt Ja und… von Caroline Emcke
- Generation Haram von Melisa Erkurt
- Goodnight Stories for Little Rebel Girls, hrsg. von Elena Favilli und Francesca Cavallo
- Periode ist politisch von Franka Frei
- Bad Feminist von Roxane Gay
- Kann man da noch was machen? von Laura Gehlhaar
- Feminismus. Die illustrierte Geschichte der Frauenbewegung von Jane Gerhard und Dan Tucker
- Ich bin Linus von Linus Giese
- Sprache und Sein von Kübra Gümüşay
- White Tears/ Brown Scars von Ruby Hamad
- Die Geschichte der Frauenbewegung von Michaela Karl
- Anleitung zum Widerspruch von Franzi von Kempis
- Hood Feminism von Mikki Kendall
- Frausein von Mely Kiyak
- Your Silence Will not Protect You von Audre Lorde
- Sagte Sie. 17 Erzählungen über Sex und Macht, hrsg. von Lina Muzur
- Fleischmarkt von Laurie Penny
- Schreibtisch mit Aussicht, hrsg. von Ilka Piepgras
- why we matter von Emilia Roig
- Equal Care, hrsg. von Almut Scherring und Sascha Verlan
- Sex and Lies von Leïla Slimani
- Men Explain Things to Me von Rebecca Solnit
- Skandalös. Das Leben freier Frauen von Cristina de Stefano
- Untenrum frei von Margarete Stokowski
- Ich fühl’s nicht von Liv Strömquist
- Feminismus von Barbara Streidl
- A Room of One’s Own von Virginia Woolf
- Disability Visibility, hrsg. von Alice Wong
- We are Feminists. Eine kurze Geschichte der Frauenrechte
