Allgemein, Interviews

Eine lyrische Verbindung

Seit 2014 übersetzt der gebürtige Potsdamer Tobias Koch Lyrik des dänischen Beat Poeten Claus Høxbroe. Die zweisprachigen Bände erscheinen im hochroth Verlag. Anlässlich der Publikation des neuesten Bandes „Die Welt so unwirklich wirklich“ durfte ich mit den beiden ein Interview führen. Über Sprache, Verständigung und die gemeinsame Liebe zu einer Stadt.

Wann und wie hast du begonnen, Beat Poetry zu verfassen, Claus?

CH: Als Kind habe ich begonnen, auf der Schreibmaschine meines Vaters Gedichte zu schreiben. Ich wusste nichts über das Genre, sondern habe einfach drauflos getippt. Nach der Gesamtschule wollte ich nicht auf die weiterführende Schule wechseln, denn das Einzige, was ich wirklich wollte, war Gedichte zu schreiben. Das habe ich dann getan. Anfangs konnte ich noch nicht davon leben und hatte alle möglichen Jobs. Aber ich habe mich immer auf die Gedichte konzentriert und verdiene damit schon fünfzehn Jahre meinen Lebensunterhalt.

Warum hast du den Eindruck, dich am besten durch Lyrik ausdrücken zu können?

CH: Ich denke, Beat Poetry ist ganz besonders. Sie enthält sowohl Spaß als auch Ernsthaftigkeit, Traurigkeit, Freude, Sorgen, die kleinen Dinge ebenso wie große Gefühle. Das ist eine gelebte Form des Schreibens; du musst sehr viel leben, um sehr viel schreiben zu können und du bekommst unendlich viel mehr zurück. Was das Schreiben betrifft, nimmt man alles Unnötige weg und lässt sich ganz in die Erfahrung fallen, in die Details und Gefühle. Dieses Rasiermesserscharfe spricht mich an, denn es gibt nichts Überflüssiges.

Woher nimmst du deine Inspiration?

CH: Ich schreibe nur über Dinge, die ich selbst erlebt und gefühlt habe. Die Inspiration ist also das gelebte Leben: Eine Beziehung, die geendet hat; der Besuch eines Restaurants; ein Bier zu viel oder zu wenig; die Reise in ein anderes Land, in die Welt hinaus. Ich bin innerhalb Kopenhagens oft umgezogen und habe in allen Stadtteilen gelebt. Außerdem war ich für ein Jahr obdachlos und habe ein weiteres halbes Jahr nur in Hotels gewohnt. All das für die Inspiration, um die besten Gedichte verfassen zu können. Einige Jahre lange habe ich sowohl über Kopenhagen als auch über Dänemark geschrieben und nun fokussiere ich mich auf die ganze Welt. Unter anderem bin ich nach Kuba gereist und habe darüber einen Gedichtband geschrieben.

Tobias, wie bist du dazu gekommen, die Lyrik von Claus zu übersetzen?

TK: 2014 haben wir vom Dänischen Lektorat der Uni Kiel aus eine Exkursion nach Kopenhagen veranstaltet. Als Dänischlehrer war es meine Aufgabe, einen Programmpunkt zu organisieren. Während der Vorbereitung stieß ich im Internet das erste Mal auf Claus und war sofort begeistert von seinem Rhythmus und seiner Arbeit. Ich schrieb ihn an und fragte, ob er Lust hätte, eine Gruppe Student*innen zu begrüßen und mit ihnen durch Amager zu spazieren. Claus war sofort bereit und so lernten wir uns persönlich kennen. Am Ende des Spaziergangs schlug Claus vor, dass ich doch einmal etwas von ihm übersetzen könne. Das ließ ich mir nicht zweimal sagen. Im selben Jahr hatten wir unsere ersten gemeinsamen Auftritte in Kiel und Berlin zusammen mit dem Pianisten Oscar Gilbert.

Seit 2014 treten Tobias und Claus gemeinsam auf und machen auch mal die Bars unsicher. (Foto: TK)



Erzählt mir bitte etwas zu dem Prozess des Übersetzens, wie läuft das bei euch genau ab?

TK: Claus ist unheimlich produktiv, sodass ich kaum mit dem Lesen hinterherkomme. Für Auftritte und Veröffentlichungen lese ich in der Regel Claus‘ aktuelle Publikationen und wähle besonders interessante Texte aus, von denen ich denke, dass sie ein deutschsprachiges Publikum versteht und die meiner Meinung nach Claus‘ Gesamtwerk sehr gut wiedergeben. Die Auswahl schicke ich im Zweifel Claus zu – er ist allerdings sehr offen und vertraut mir, von daher ist der Auswahlprozess recht frei. Die Übersetzungen hört Claus in der Regel das erste Mal bei einem Auftritt oder vielleicht kurz vorher.

CH: Genau, was die Übersetzung anbelangt, vertraue ich vollkommen auf Tobias‘ Einschätzung, was auf Deutsch gut rüberkommen wird. An unserer Zusammenarbeit ist unter anderem interessant, dass Tobias ein Deutscher ist, der Dänisch gelernt hat und kein Däne, der in eine Fremdsprache übersetzt. Wenn es Doppeldeutigkeiten und Wortspiele gibt, achte ich darauf, Tobias darüber in Kenntnis zu setzen, damit er die Möglichkeit hat, diese auf Deutsch umzusetzen. Ansonsten überlasse ich die Auswahl der Gedichte und Übersetzungen ganz ihm und gebe nur Input und Gedanken rein.


Welche Schwierigkeiten und Herausforderungen gibt es bei der Übersetzung von Gedichten?

TK: Ich persönlich fühle mich Claus‘ Texten und der Realität, die sie widerspiegeln, sehr nah. Insofern empfinde ich die Übersetzung als sehr organische, angenehme Aufgabe. Schwierig wird es bei Wortspielen und Doppeldeutigkeit, die es bei Claus recht häufig gibt. Allerdings bin ich da auch nicht zu streng und versuche im Zweifel, im Deutschen sehr kreativ mit Wortfindungen zu sein. Eine weitere Herausforderung ist der Rhythmus, denn da die Texte sehr auf ihre Performance ausgelegt sind, spielt das eine wichtige Rolle – sie müssen pointiert und knackig sein, damit sie sich in Claus‘ Rhythmus vortragen lassen. Dabei stößt man durchaus an Grenzen, da die deutsche und dänische Sprache doch recht unterschiedlich bezüglich des Klangs und der Struktur sind.

Mit seinen Gedichten fängt Claus die Stimmung in Kopenhagen ein – wie hier am Knippelsbrotårn im Stadtteil Christianshavn. (Foto: CH)


Gab es schon mal ein Gedicht, das du nicht übersetzen konntest?

TK: Keins von Claus‘ Gedichten – manchmal gibt es Schwierigkeiten mit einzelnen Stellen, wo ich mich dann auch ab und zu mit ihm berate. Bei anderen Autor*innen habe ich größere Schwierigkeiten gehabt, ich habe mich immer mal wieder an Michael Strunge probiert und auch bei der Übersetzung von Claus Ankersen gab’s knifflige Situationen. Im Zweifel suche ich den Kontakt, da einem eine kleine Doppeldeutigkeit oder ein Bedeutungsunterschied durchaus durch die Lappen gehen kann. Das versuche ich durch den regen Austausch mit Autorinnen zu vermeiden.

Wenn du ein Gedicht in seiner übersetzen Form siehst, hast du dann das Gefühl, dass es noch dein Gedicht ist?

CH: Tobias ist so begabt, dass ich noch immer weiß „Das sind meine Gedichte“. Natürlich werden sie von ihm eingefärbt, aber sie haben noch immer dieselbe Farbe und denselben Rhythmus. Ich erinnere mich gut daran, wie es war, als wir das erste Mal zusammen durch Deutschland getourt sind. Die übersetzten Gedichte laut vorgetragen zu hören, war wie eine außerkörperliche Erfahrung, als würde man direkt neben sich stehen und laut lesen. Ich konnte sehen, wie das Publikum genau an den richtigen Stellen reagiert hat.

In den Gedichten, die ich von Claus lesen durfte, geht es sehr viel um Kopenhagen. Deswegen diese zwei Fragen an euch: Claus, ist Kopenhagen für dich eine lyrische Stadt? Und Tobias, inwiefern verkörpern Claus‘ Gedichte die Seele Kopenhagens?

CH: Nicht unbedingt, aber Poesie kann aus Erfahrungen in der Stadt gezogen werden, wenn man tief genug in das dortige Leben taucht. Ich denke, dass das überall geschehen kann, man muss sich eben wirklich reinhängen. Aber jetzt, wo ich das so sage: Vielleicht liegt ein lyrischer Glanz über Kopenhagen. Wir haben alte Stadtteile, historische Gebäude und das alles ist mit dem Leben verbunden, wie es jetzt gelebt wird. Das kann schon etwas Poetisches ausstrahlen.

TK: Die Texte atmen Kopenhagen ein und aus – ich finde, dass Claus eine sehr einzigartige Gabe hat, einfache Momente und Situationen festzuhalten. Die Seele von Kopenhagen setzt sich aus all seinen Menschen zusammen und Claus sieht und beobachtet sehr viele von ihnen, das strahlt durch die Texte. Er hat keine Berührungsängste und schreckt nicht zurück, wenn es in Situationen, die er später zu Papier bringt, auch einmal unangenehm wird. Wirklich jede*r hat die Chance, in einem Gedicht von Claus festgehalten zu werden und das schätze ich. Dafür muss man weder besonders toll aussehen oder etwas Außergewöhnliches tun, sondern man muss nur durch Kopenhagen spazieren und in sein Blickfeld geraten.

„Die Welt so unwirklich wirklich“ ist 2021 erschienen und kann entweder allein für 8 Euro oder im Schuber mit „Asphalt und Auferstehung“ für 16 Euro erstanden werden.

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